[Karsten Schuldt]
-Praktikumsbericht-
über ein Dokumentationspraktikum im Archiv des demokratischen Sozialismus über den Zeitraum von 4. Wochen
Einleitung
Folgender Bericht bezieht sich auf ein Praktikum, welches ich im Zeitraum vom 22.07.2002 bis zum 16.08.2002 im Archiv des Demokratischen Sozialismus (ADS) absolvierte.[1] Dieses stellt sowohl die Informations- und Dokumentationseinrichtung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (RLS), als auch die Trägerin der angegliederten Bibliothek dar.[2] Referatsleiter des ADS ist Dr. Jochen Weichold, welcher gleichzeitig als Betreuer meines Praktikum fungierte.
Die Stiftung und das Archiv
Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am 08./09.12. und 16./17.12.1989 wurde, aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Vorgänge in der DDR, den angrenzenden Staaten und der Welt, die später als „Wende“ bekannt wurden und schließlich zum Anschluß der DDR nach Artikel 23 Grundgesetz für die BRD an die BRD, dem Auflösen der UdSSR, der Tschechischen und Slowakischen Förderativen Republik [Tscheslowakei] und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien, sowie dem Ende der Staatssozialistischen Herrschafts- und Wirtschaftskonzepte führte[3], ein Sonderparteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) einberufen. Auf diesem beschloßen die anwesenden Deligierten die Änderung des Names in Partei des Demokratischen Sozialismus/Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (PDS/SED). Dies sollte als Symbol für einen radikalen Neuanfang und einer Loslösung von den post-stalinistischen Strukturen in Richtung eines Demokratischen Sozialismus stehen. Jener Demokratische Sozialismus wurde zwischen den Polen der linken Sozialdemokratie und den radikalen Sozialistinnen und Sozialisten des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik (namentlich Franz Mehring, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht), der pazifistischen Schriften dieser Zeit (namentlich der Weltbühne und der Fackel ), sowie den Versuchen einer systemimmanten Reformulierung des sozialistischen Projekts der 70’er und 80’er Jahre des 20. Jahrhunderts (namentlich der Charta 77, Kurt Hager u.a.) verortet[4]. In Anbetracht der Geschwindigkeit der Ereignisse benannte sich die Partei -unter anderem- schon am 24./25.02.1990 [5] weiter in PDS um.
Von Teilen der linken Opposition in dieser Partei, welche zum Teil für eine Auflösung der Partei in eine sozialistische Bewegung plädierte hatten, wurde in diesem Zeitraum die Zeitschrift UTOPIE kreativ : Diskussion sozialistischer Alternativen gegründet, welche im September 1990 das erste Mal erschien. Um diese Publikation herum entstand die Rosa-Luxemburg-Stiftung Gesellschaftanalyse und Politische Bildung e.V. (RLS) in Berlin, und nach diesem Vorbild wieder ähnliche Stiftungen bei den Landesverbänden der PDS. Mit der Zeit wandelten sich diese nach dem Vorbild der anderen parteiennahen Stiftungen der großen Parteien in der BRD zu eben solch einer um[6]. Durch das Erreichen des Fraktionstatus[7] in der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestages 1998-2002 erhielt die PDS -wie jede im Bundestag als Fraktion vertretene Partei- die Möglichkeit eine aus dem Bundeshaushalt finanzierte parteinahe Stiftung zu unterhalten. Diese Mittel wurden der RLS zur Verfügung gestellt[8]. Aufgabe dieser Stiftung ist die Förderung und Propagierung der politischen Grundströmung der tragenden Partei, also des sogenannten Demokratischen Sozialismus.
Geschichte und Aufgaben des Archiv des Demokratischen Sozialismus. 1999 wurde im Rahmen der RLS das Archiv des demokratischen Sozialismus (ADS) in der heute bestehenden Form eingerichtet, dem die zuvor durch Schenkungen und die Förderung des Arbeitsamtes aufgebaute Bibliothek angegliedert wurde. Als Aufgabe des ADS wurde die Sammlung von Akten und Materialien zur Geschichte der PDS -in besonderen der Bundestags-, Landtags-, Senats- und anderer kommunaler Fraktionen und Gruppen-, die Sammlung von Dokumenten des Demokratischen Sozialismus, von Beständen der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sowie von Quellen zur Namensgeberin Rosa-Luxemburg festgeschrieben[9]. Dies umfasst sowohl die Akquise, als auch die Erschließung des relevanten Materials, außerdem die archivarische Bearbeitung und Betreuung der Bestände. Daneben soll das ADS Rechercheaufgaben in den Beständen leisten, die Archivbeauftragten der PDS-Landesverbände beraten, sowie die Bestände externen Interessenten und Interessentinnen zugänglich machen. Schließlich umfasst der Tätigkeitsbereich des ADS selbstverständlich die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RLS mit Mitteln , welche sonst durch eine Informations und Dokumentations-Stelle zur Verfügung zu stellen wäre[10].
Das Archiv des Demokratischen Sozialismus. Zur Erfüllung dieser Aufgabe stehen dem ADS nur 2,75 Stellen zur Verfügung, wie die 0,75-Stelle eigentlich für denBbereich der Bibliothek vorgesehen ist. Räumlich ist das ADS sehr eingeschränkt. Die Akten stappeln sich in allen Ecken, der Arbeitsplatz des Bibliothekars ist der Benutzerraum der Bibliothek, ohne einen eigenen Schreibtisch etc. vorzusehen. Mein Arbeitsplatz -solange ich nicht den zweiten Computer der Bibliothek nutzte- befand sich im Nutzerraum des Archivs inmitten des Handapparats, der von mir genutzte Computer war eigentlich für die Nutzerinnen und Nutzer gedacht. Zwar sind diese Arbeitsplätze ausreichend und gut beleuchtet, verglichen aber mit meinem Arbeitsplatz im Staatsarchiv Berlin, welchen ich bei meinem Schulpraktikum 1996 zugewiesen bekam, zeigte sich doch die räumliche Begrenztheit des ADS und der gesamten RLS[11]. Die Lagerung der bearbeiteten Bestände dagegen findet in einem großräumigen Magazin, auf einer neu installierten Fahrregalanlage für 810 laufende Meter Archivgut staat. Außerdem sind der Bibliothek, deren Bestände sich aber hier mit dem des Archivs überschneiden, mehere Räume im Keller des zum großen Teilen von der RLS genutzten Gebäudes[12] zugeordnet, in welchem sich auch der Dublettenkeller befindet, dessen Bestände zum Teil für Stipendaten und Stipendatinnen der RLS zur freien Verfügung stehen.
Das gesamte ADS befindet sich noch im Aufbau[13]. Das ADS ist im Verband Deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. (VDA) Mitglied der Fachgruppe 6: Archivare an Archiven der Parlamente, der politischen Parteien, Stiftungen und Verbände. Angestrebt wird zur Zeit der Ausbau der Arbeit des Archives im IuD-Bereich, sowie ein koontinuierliches Wachstum, sowohl der Bestände, als auch der Personaldecke[14].
Das Praktikum
Das von mir absolvierte Praktikum umfasste vier Wochen mit je 38,5 in Gleitzeit absolvierter Arbeitsstuden (exklusive je 0,5 Stunden Pause pro Arbeitstag).[15]
Findbuch Studien. Schlußendlich umfasste es das Bearbeiten, Archivierfähig machen und Verschlagworten der Studien, welche aus den PDS-Fraktionen im Landtag von Berlin übergeben wurden, der Studien aus den Beständen PDS/LL / BW-12 [16], der Verschlagwortung der Studien aus dem Bestand Elke Herer[17]und aus dem Bestand Jürgen Demloff[18]. Somit entstand ein virtueller Bestand, sowie ein dazugehöriges Findbuch mit Verschlagwortung in einem Schlagwort- und einem Personenregister. Dieses Findbuch erstellt ich mit dem Archivprogramm AUGIAS-Archiv 7.1[19]. Jenes war zwar einfach aufgebaut und nahezu selbsterklärend, aber lange noch nicht ausgereift. So fehlte eine Kopierfunktion, dass Findbuch war nicht am Bildschirm zu erstellen und anschließend retroaktiv zu verändern und die Frage, warum das Programm jetzt gerade etwas gemacht hatte, war oft genug nicht wirklich zu beantworten. Ich persönlich würde in einer weiteren dokumentarischen Praxis programmierbare Datenbankprogramme vorziehen.
Findbuch PDS-Volkskammer. Mit dem gleichen Programm erstellte ich ein Findbuch des Bestandes PDS/VK 10 -3 Teil-[20]. Dieser Bestand nahm die meiste meiner Arbeitszeit -fast 1,5 Wochen- in Anspruch. Dieser war noch in den Heftern der Poststelle der Fraktion vorhanden, ohne gesichtet worden zu sein. Zwar waren die enthaltenen Briefe von der Poststelle schon einmal geordnet und in buchhalterischer Ablage geheftet worden, aber das dazugehörige System der Auszeichnungen auf den Erfassungsbelegen und des offenbar dazugehörige Posteingangsbuch waren nicht mit überliefert worden. Außerdem fehlten offenbar schon wieder einige Briefe, andere waren ungeordnet zugelegt worden. Überdies waren die Briefe und Antwortschreiben teilweise mit Büro- und Heftklammern zusammengehalten, die stellenweise schon jetzt, nach nur 12-13 Jahren rosteten und für die langfristige Archivierung entfernt werden mussten. Insoweit war das Erstellen des Findbuches ein geringer Teil der Arbeit, der auch nicht mehr abgeschlossen werden konnte.[21] Zuvor mussten der Bestand aus den Heftern gelöst, teilweise neu geordnet, von Metall und anderen Nicht-Papier-Materialien befreit, teilweise durch Kopie gerettet, sowie in säurefreien Heftern und Archivbehältern verpackt und abschließend foliert -gestempelt- werden.
Zum einen erstaunte mich dabei, mit welchen nahezu profanen Mitteln dabei gearbeit wird, zum anderen trat beim Erstellen des Findbuch die Problematik möglichst dem Paradigma der Objektivität verpflichteten Abstracts zu erstellen, angesichts der zahlreichen unqualifizierten Briefe und beleidigenden Äußerungen, welche in den Dokumenten enthalten waren, sehr deutlich vor Augen. Da das ADS keinen zuvor festgelegten Thesaurus benutzt, sondern im KWOC-Verfahren in jedem Findbuch neu festlegt, konnte ich mich auch nicht auf die scheinbare Sicherheit eines festen Wortschatzes zurückziehen. Die Frage, die sich mir aufdrängte -nicht nur aus der Kritik des Objektivitätsparadigmas heraus, wie er von der feministischen Wissenschaftskritik geübt wird, sondern von dieser konkreten Erfahrung ausgehend-, ist die nach dem Sinn und der Vorstellung hinter diesem Anspruch, ein Dokument so objektiv wie möglich zu beschreiben.
Handreichung Terrorismus. An zwei sehr heißen Tagen erstellt ich eine Handreichung mit Literatur zum Thema Terrorismus und Antiterrorismus, mir besonderem Bezug auf den 11.September 2001[22]. Dies war zum einen notwendig, da der Server, auf dem die Daten von AUGIAS lagerten sich in diese Zeit wegen der Hitze ausgeschaltet hatte und somit eine weiter Verzeichnung der Studien nicht möglich war. Zum anderen ergab sich diese Aufgabe aus einem Wettbewerb der Bundeszentrale für politische Bildung für die politischen Stiftungen in der BRD. Im letzten Jahr hat die RLS bei dem Vorläufer dieses Wettbewerbs zum Thema Rechtsextremismus auffällig gut abgeschnitten, woran das ADS mit einer ähnlichen Handreichung beteiligt war. Der diesmalige, in der Zwischenzeit schon wieder zurückgezogene, Wettbewerb stand unter der Thema Terrorimus, was angesichts der Ereignisse des letzten Jahres verständlich ist. Diese Arbeit gestaltete sich nicht anders als die Recherchen, die ich sonst für Freunde und Freundinnen vornehme, nur das ein anderes Format für die Ausgabe gewünscht wurde. Das überraschte mich eher.
Magazin. Außerdem wurden mir auf eigenen hin Wunsch Aufgaben im Magazin zugeteilt. So erstellte ich zum Bestand Rosel Neuhäuser[23] ein Ablieferungsverzeichnis. Beim mehrmaligen Austesten und Beanstanden der gerade zum Beginn meines Praktikums eingebauten Fahrregalanlage, beim Umschichten des Archivguts in diese Anlage und dem Umlagern von Möbeln des Archivs konnte ich auch die profaneren, sonst nicht zur Archivarbeit gezählten, dennoch aber anfallenden Aufgaben kennen lernen. Schließlich sei aus der geleisteten Arbeit ein Verzeichniss der Lichtdrucke erwähnt, welche kurz vor meinem Praktikum aus der Kokursmasse des Verlages der Kunst erworben wurden und demnächst zur Ausgestaltung der Auslandsbüros der RLS dienen sollen.
Fragen
Bei diesem Praktikum wurde mir klar, dass die Angebote und Möglichkeiten eines Archives nicht genutzt werden, wenn sie nicht bekannt sind. So steht das ADS alle Interessierten offen, wird aber nur von Angehörigen der RLS und den Studierenden, welche eine Stipendium der RLS besitzen, genutzt. Aber auch diese Nutzung bleibt weit hinter denn Möglichkeiten zurück. So musste ich einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt erst darauf hinweisen, dass ein Archiv auch die Aufgabe hat Recherchearbeiten zu übernehmen, bzw. dass die Angestellten zumindest die Qualifikation dafür besitzen. Anstatt dessen wurde von den Angeboten des Archiv zum großen Teil nur die Möglichkeit genutzt in die jeweils aktuellen Tageszeitung einzuschauen. Ohne die Vermittlung der Möglichkeiten werden Dokumentationseinrichtungen also praktisch nicht genutzt und können damit auch nicht ihre Notwendigkeit unter Beweis stellen.
Ich hatte das ADS auch wegen der politischen Verwandtschaft zwischen mir und der RLS als Praktikumsplatz ausgewählt[24]. Gerade deshalb fiel mir aber eine fragwürdige Entwicklung auf: die Archive der jeweiligen partei-nahen Stiftungen haben die Aufgabe die Dokumente und Materialien der politischen Grundströmung zu sammeln und zu archivieren, welche von der Partei, der die Stiftung nahesteht, vertreten wird. Das impliziert zum einen die doppelte Sammlung von Dokumenten, welche aber durch Absprachen zwischen den Stiftungen offenbar einigermaßen eingedämmt wird. Als Beispiel ist hierzu das Sammelgebiet „Arbeiterbewegung“ zu nennen, welches vom Archiv des Sozialen Demokratie (AdSD) der Friedrich-Ebert-Stiftung gesammelt wird. Dabei wäre diese Sammelgebiet thematisch genau so gut bei ADS anzusiedeln. Insoweit ist diese Entscheidung offenbar auch eine zufällige: da das AdSD schon eine Sammlung zu diesem Thema hatte, als das ADS gegründet wurde, führt es dieses Sammelgebiet auch weiter. Aber gerade an der Geschichte der Arbeiterbewegung stellt sich die Frage: wer sammelt die politischen Strömungen, welche nicht durch die großen Parteien vertreten werden? Oder hat eine Strömung erst ein Anrecht darauf gesammelt zu werden, wenn sie im Bundestag vertreten ist? Dies wäre historisch kurzsichtig und politisch falsch. In der Arbeiterbewegung gab und gibt es zum Beispiel die Strömung des Anarchosyndikalismus[25], einer linksradikalen Variante der gewerkschaftlichen Arbeit. Die Dokumente und Materialien dieser Bewegung werden aber nicht im AdSD gesammelt. Die offenbar beste Aktenlage zum historischen Anarchosyndikalismus in Deutschland hält das International Institut of Social History (IISH) in Amsterdam bereit, die des neueren wird hauptsächlich in sogenannten Infoläden der radikalen Linken gesammelt. Aber eine bundes- oder gar europaweite Abstimmung zum Sammeln der Dokumente politischer Gruppen, Parteien und Bewegungen gibt es offenbar nicht. Das halte ich für gefährlich.
Eine Frage, die sich mir auch aufdrängte ist die nach der Planbarkeit von Projekten in Dokumentationseinrichtungen. Archive sind darauf angelegt, Dokumente über einen längeren Zeitraum, gegebenenfalls ohne Zeitbegrenzung aufzubewahren und zur Verfügung zu stellen. Dies kostet beständig Geld, um die Räumlichkeiten zur erhalten, die Dokumente zu schützen und verfügbar zu halten, ohne das auch nur ein Dokument zu dem Bestand dazu kommt. Insoweit müsste auch eine langwierige finanzielle Absicherung gegeben sein. Bei der RLS gibt es diese Absicherung nicht. Und ich möchte bezweifeln, ob dies bei anderen Dokumentationseinrichtungen anders ist. Trotzdem ist es notwendig in längeren Zeiträumen zu planen. Einen Ausweg aus diesem Dilema bietet vielleicht das Ignorieren dieser Fakten. So zumindest nahm ich das Verhalten in der RLS war. Ob dies aber eine wirkliche Lösung darstellt, will ich bezweifeln.
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