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Perspektiven einer Wissenschaft

Eine Ausstellung zu Bibliotheken auf dem afrikanischen Kontinent gibt einen ersten Eindruck, was Bibliothekswissenschaft in Zukunft leisten könnte. Von Karsten Schuldt

"Wissensstädte - Bibliotheken in Afrika" heißt eine Ausstellung, die im Rahmen eines Projektseminars in der Afrikanistik entstand und nun auch am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft gezeigt wird. Zu dieser Ausstellung selber gib es wenig zu sagen, sie kann für dieses Thema nur Schlaglichter liefern. Für die gesamte vorkoloniale Zeit muss eine Tafel ausreichen, die wenig mehr tun kann, als anzudeuten, dass es schon lange vor der Ankunft der kolonisierenden Europäer im afrikanischen Raum reichhaltige Schriftensammlungen und intellektuelle Auseinandersetzungen gab. Ebenso wird die Kolonialzeit, in welcher Bibliotheken hauptsächlich einen Teil der kolonialen Infrastruktur darstellten, owohl sie gleichzeitig das Versprechen auf einen sozialen Aufstieg durch Bildung repräsentierten, auf nur einer Tafel dargestellt. Informationsarmut, die Debatten um Open Access, die konsequente Ausrichtung von bibliothekarischen Diensten auf die Lebensumstände der Nutzerinnen und Nutzer, alle diese Themen können nur angerissen werden. Deshalb hat die Ausstellung verständlicherweise auch große Lücken. Sie ist vor allem da, und das ist nicht schlecht, insbesondere an ihrem jetzigen Standort.

Wissenschaft basiert auf grundsätzliche Richtungsentscheidungen

Die Bibliothekswissenschaft, die zur Zeit des letzten Studierendenstreiks 2003/2004 noch vor der Abwicklung stand, versucht sich gerade neu zu definieren: neue Professuren, neue Projekte, neue Inhalte. Ob dies erfolgreich sein wird, ist noch nicht abzusehen, es ist zumindest eine Zeit des Umbruchs, in dessen Verlauf diese Profession sich in Frage stellt und Wege sucht, um als eigenständige Wissenschaft anerkannt zu werden. Sichtbar ist schon heute, dass ein Hauptthema der neuen Bibliothekswissenschaft die Informationsverarbeitung und -nutzung im digitalen Raum sein wird. Dagegen stellt die Ausstellung zu afrikanischen Bibliotheken einige Punkte klar, die ansonsten schnell vergessen werden könnten. Bibliotheken sind Einrichtungen, die in der jeweiligen Gesellschaft verankert sind und deren Aufgabe und Ausstattung nicht von ihrer Umgebung losgelöst betrachtet werden können. Gleichzeitig gibt es durchgängig in allen Gesellschaften den Trend, Einrichtungen zu installieren, die als Bibliotheken bezeichnet werden können, obwohl sie nicht unbedingt mit den westlichen Vorstellungen einer Bibliothek übereinstimmen.

Diese Feststellung scheint banal, sie ist es aber nicht, wenn man sich die Debatten im deutschen Bibliothekswesen anschaut. Weder die stark strukturkonservative Position, die Bibliotheken gerne auf den Umgang mit gedruckten Medien festlegen will, noch die an der Humboldt-Universität und von einer Anzhal hauptsächlich junger Bibliothekarinnen und Bibliothekare betriebenen Fixierung auf elektronische Medien wird die Zukunft des Bibliothekswesens darstellen. Daran erinnert die Ausstellung, indem sie einen nicht-europäischen Fokus repräsentiert und fragt, was Bibliotheken auf dem afrikanischen Kontinent sein können.

Forschungsthemen sind immer auch politisch

Eine Antwort auf diese Frage nach dem Potential der Bibliotheken ist nicht so leicht möglich. Das Thema ist zu umfassend, immerhin ist Afrika ein Kontinent mit sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen. Es gibt zudem hierzulande kaum Forschungen zu den dortigen Bibliotheken. Ungewollt zeigt die Ausstellung deshalb in der jetzigen Umbruchsituation der Wissenschaft auch, wie defizitär die Ergebnisse der an diesem Institut betriebenen Forschung in bestimmten Bereichen war. Dies könnte eine gewisse Verunsicherung im sonst sehr selbstbewussten Bibliothekswesen darstellen: nicht die Bibliothekswissenschaft, sondern Studierende der Afrikanistik stellen in dieser Ausstellung Fragen, die von der zuständigen Wissenschaft aufgrund des bisher Bekannten nicht beantwortet werden können.

Dennoch zeigen diese kurzen Einführungen, wie weit das Feld einer neu begründeten Bibliothekswissenschaft sein könnte. Jetzt wäre eine gute Zeit, solche gesellschaftlichen Fragen im Kanon des Bibliothekswesens zu verankern. Oder wird sie vorrangig eine Verwaltungswissenschaft bleiben?

Wissensstädte - Bibliotheken in Afrika, 02.12.2008-09.02.2009, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Dorotheenstraße 26. Eröffung am 02.12.2008, 20.00 Uhr. Vgl auch den libreas-Podcast Nr. zur Ausstellung: http://www.ib.hu-berlin.de/~libreas/libreas_neu/podcasts/podcast_9/index.html

Quelle: HUch - Zeitung der studentischen Selbstverwaltung der Humboldt-Universität zu Berlin, Nr. 57, Dezember 2008, S.12